Eine Nacht am Fernrohr
Hier oben, vor der schweigenden Höhe und Einsamkeit der Sternwarte ist das alles verklungen und versunken. Mondschein liegt auf den Giebeln der fernen Häuschen, blinkert in den Fensterscheiben. Weit dehnt sich mit dumpf geheimnisvollem Rauschen rings der dunkle Wald, und das Band des Stromes windet sich perlgrau und silbrig umbordet durch die Landschaft.
Ich stehe unter der riesenhaften Kuppel, die wie ein morgenländischer Tempelbau so seltsam aus dem nordischen Nadelwald unserer Heimat aufsteigt. Und ist es nicht ein Tempel?
Von hier steigt des Menschen Geist hinein in die Unermesslichkeiten ferner Welten. Hier erst, wo Sternenströme sich dem Auge auftun, die Geheimnisse anderer Erden sich entschleiern, wird die unnennbare Winzigkeit dieses vom Menschen bewohnten Sternleins Erde deutlich.
Wie leicht das Riesenfernrohr sich dreht, wie willig es dem leisesten Druck gehorcht. Der Nachtwind weht kühl durch den Beobachtungsspalt des Kuppeldomes, ich hülle mich fester in den wärmenden Mantel.
Der Sternenbaldachin wölbt sich über mir. Wie viele Nächte stand ich so unter dem ewigen Lichterbaum an meinem Fernrohr, und doch packt mich die Stimmung immer wieder, man ist dem Weltgeist näher hier als sonst!
Die letzten buntgesäumten Wolkenschiffchen sind am Monde vorbeigefahren, nun liegt er vor mir im scharfen Glase, gewaltig vergrößert, greifbar nahe.
Das "Erste Viertel" ist schon überschritten. Da , wo Tag und Nacht auf dem Monde sich scheiden, an der Lichtgrenze, glänzt, wie aus getriebenem Silber geformt, das mächtige Ringgebirge des Kopernikus. Auf den wild zerklüfteten, in Terrassen sich abbauenden Wällen, deren Zinnen sich bis 4000 Meter Höhe erheben, wirft die aufgehende Sonne ihre Lichtfluten, aber das Innere des 90 Kilometer breiten Kessels ist in tiefe Nacht getaucht.
Ein Gewirr von winzigen Kraterchen, manche kaum einen halben Kilometer breit, liegt wie verstreute Ringlein rings um den Riesen, Felsenklötze, vereinzelt wie von Riesen umhergeschleudert, recken sich auf, werfen lange, spitze Schatten wie die Türme gotischer Kirchen. Tiefe Risse durchziehen die Landschaft, sanfte Hügelketten unterbrechen die weite graue Ebene des Mare Imbrium, des Regenmeeres, und nun gleiten die Kämme des mächtigen Gebirgszuges der Mondapenninen vorüber, deren silbrige Zinken bis 5.000 Meter emporsteigen. Der Blick verliert sich in ein Gewirr von unergründlichen Felsenschluchten, streift durch das seltsame Quertal der Mondalpen, das den Eindruck macht, als habe hier eine aus dem Weltraum kommende Granate von phantastischen Ausmaß eine ganze Bergwirrnis hinwegrasiert.
Wieder summt der Motor, dumpf grollend rollt die Kuppel mit dem Beobachtungsspalt weiter nach Osten herum, wo jetzt als hellster Stern des Himmels Jupiter erglänzt, der Riese unter den Geschwistern der Erde.
Das mächtige Fernrohr senkt sich näher zum Horizont herunter, um ihn zu erfassen. Hebel drehen sich, lange Stellschlüssel arbeiten, ein stärkeres Augenglas wird angesetzt, und nun liegt eine neue wunderbare Welt vor mir. Eine abgeplattete Kugel, die Erde elfmal im Durchmesser übertreffend, umschwebt von vier großen Monden. Langsam dreht sich der Ball um seine Achse, Wolkenzüge mit hundertfachen Detail, mit dunklen Streifen, weiß und rosig schimmernden Flecken umgeben ihn, und kaum merklich rücken die Monde weiter in ihrer Bahn. Immer dichter schiebt sich der nächste an die Kugel heran, jetzt fällt sein von der Sonne entworfener Schatten auf ihr Wolkenmeer, langsam gleitet er weiter und ich bin Zeuge einer Sonnenfinsternis auf dem Jupiter.
Was mag Galilei, der große italienische Naturforscher, empfunden haben, als er am 7. Januar 1610 mit dem damals eben erfundenen Fernrohr zum ersten Male diese ferne Erde mit ihren wunderbaren Monden sah, die die neue Lehre des Kopernikus bestätigten! Was mag er gelitten haben, als er, ein fast erblindeter Greis, später vor dem Inquisitionsgericht in Rom, die neue Lehre, seine wissenschaftliche Überzeugung abschwören musste!
Noch immer kreisen sie droben - die fernen Monde, die selbst durch das Fernrohr zu sehen die geistlichen Herren des Gerichts ablehnten.
Und wieder schwenkt die Kuppel seitwärts, wieder sucht das Riesenauge des Teleskops eine andere Welt. Saturn, der Planet mit den seltsamen Ringen, nur wenig westlich von Jupiter in ruhigem Licht leuchtend, schiebt sich in das Gesichtsfeld. Hundertmal kann man ihn ganze Nächte beobachtet haben, immer wieder packt der Anblick des ringgeschmückten Gestirns. Um die stark abgeplattete Kugel kreisen in mildem Glanz die wie auf der Drehbank erzeugten Ringe. Man erkennt ihre Teilungen, ihre Schatten, leichte Färbungen ihrer Oberfläche sieht als winzige Sternlein einige Monde des Planeten dicht bei den Ringen flimmern und zarte graue Streifen, Wolkenmassen, über die Kugel des Sternes hinweg ziehen. Und langsam schwebt das alles fern im Raum weiter. Neue Sternströme tauchen auf, schimmernde Gasschwaden, die kosmischen Nebel, durchziehen sie, aus denen dereinst wohl neue Sterne sich formen und in der aschgrauen Unendlichkeit verlieren sich Blick und Grübelgeist des Forschers und Träumers.
Bruno H. Bürgel